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Vereisung von Windkraftanlagen und Eiswurf

Aus dem Gutachten „Gutachten zu Risiken durch Eiswurf/Eisfall und Bauteilversagen am Standort Züssow“ vom 13.08.2019. Erstellt durch Fluid & Energy Engineering GmbH & Co. KG, Borsteler Chaussee 178, 22453 Hamburg

 

Vereisung

Je nach den Vereisungsbedingungen kann es auf den Rotorblättern von Windenergieanlagen (WEA) zu erheblicher Vereisung kommen, wodurch sich die Gefahr von sich lösenden Eisstücken mit einem Gewicht von bis zu mehreren Kilogramm ergibt. Während des Betriebs der WEA erhalten diese Eisstücke einen deutlichen Anfangsimpuls durch das schnell rotierende Blatt, was als Eiswurf bezeichnet wird.

Die Spitzengeschwindigkeit eines Windradflügels mit 86m Länge und bei einer Drehzahl von 15 Umdrehungen pro Minute hat eine Geschwindigkeit von ca. 67,5 m/s. Das entspricht einer Geschwindigkeit von 243 km/h. Die Eisstücke werden mit den angegebenen Parametern mit einer Geschwindigkeit von 243 km/h weggeschleudert!

Im Stillstand der WEA trudeln die Eisstücke mit deutlich niedrigeren Drehzahlen, was als Eisfall bezeichnet wird. In beiden Fällen (Eiswurf und Eisfall) wirken auf die abgelösten Eisstücke durch den Wind weitere Kräfte, insbesondere bei Sturm oder entlang eines abfallenden Geländes, was zu beträchtlichen Flugweiten führen kann.

Vereisung tritt auf, wenn unterkühlte Wassertropfen auf das Rotorblatt treffen oder die Oberflächentemperatur des Rotorblatts unter den Gefrierpunkt fällt und Wasserdampf auf der Oberfläche gefriert.

Im Temperaturbereich von ca. 0° bis -10°C bildet sich aus den Wassertropfen beim Auftreffen auf das Rotorblatt Eis. Bis etwa -4°C kommt es aufgrund der verzögerten Eisbildung zu großflächiger Klareisbildung. Unterhalb von -10°C können sich größere Ablagerungen von Raureif an den Profilkanten bilden. Der sich bei noch kälteren Temperaturen bildende Reif spielt hinsichtlich einer Gefährdung durch Eisfall oder Eiswurf in der Regel keine Rolle.

Bengt Tammelins Studie [S1] empfiehlt für Regionen mit hoher Vereisungshäufigkeit einen Mindestabstand von 1,5 · (Nabenhöhe + Rotordurchmesser) zu gefährdeten Bereichen oder das Abschalten der Windenergieanlage bei Vereisungsbedingungen.

Der vorgeschlagene Mindestabstand von 1,5 · (Nabenhöhe + Rotordurchmesser) wurde in Deutschland in die Muster-Liste der technischen Baubestimmungen [N1] aufgenommen. Dort wird betont, dass Abstände zu Verkehrswegen und Gebäuden wegen der Gefahr des Eisabwurfs einzuhalten sind, es sei denn, eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist ausgeschlossen. In nicht besonders eisgefährdeten Regionen gelten Abstände größer als 1,5 x (Rotordurchmesser plus Nabenhöhe) im Allgemeinen als ausreichend, während in anderen Fällen die Stellungnahme eines Sachverständigen erforderlich ist.

Wenn der Mindestabstand nicht eingehalten wird oder der Standort besonders eisgefährdet ist, ist das Risiko durch Eiswurf standortspezifisch zu bewerten. Eine gutachterliche Stellungnahme zur Funktionssicherheit von Einrichtungen, die den Betrieb der Windenergieanlage bei Eisansatz ausschließen oder verhindern können, ist erforderlich, wenn erforderliche Abstände nicht eingehalten werden.

Im Gegensatz zur gutachterlichen Stellungnahme bei Unterschreitung des Mindestabstands ist die gutachterliche Stellungnahme zur Funktionssicherheit von Einrichtungen zur Eiserkennung kein standortspezifischer Nachweis, sondern ein einmalig für den jeweiligen Typ in Auftrag gegebenes Gutachten vom Hersteller des Eiserkennungssystems oder der Windenergieanlage.

Einige Systeme zur Eiserkennung schließen den Betrieb bei potenziell gefährlichem Eisansatz aus, können jedoch den Eisansatz nicht grundsätzlich verhindern. Beispielsweise wird eine Rotorblattheizung durch einige Hersteller für Standorte, in deren Umgebung eine erhebliche Gefährdung durch Eiswurf besteht, sogar ausgeschlossen.

Somit ergibt sich, dass selbst bei einem vorhandenen System zur Eiserkennung Eisfall (Ablösen von Eisstücken von der stillstehenden oder trudelnden Windenergieanlage) auftreten kann. In diesen Fällen sollte auch bei Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 · (Nabenhöhe + Rotordurchmesser) eine standortspezifische Bewertung des Risikos erfolgen.



Berechnung der Flugbahnen von Eisstücken

Für die Berechnung der Flugbahnen der Eisstücke wird basierend auf den Luftwiderstandsbeiwerten, der Geometrie und der Masse der Eisstücke die Lage des Eisstücks während der gesamten Bewegung erfasst und verfolgt. Dies ermöglicht im Vergleich zu einer rein ballistischen Flugbahn ein realistischeres Bild der Flugweiten und erfasst auch solche Flugbahnen, bei denen im Einzelfall durch Auftriebskräfte am Eisstück sehr hohe Flugweiten erreicht werden.

Mittels einer Monte-Carlo-Simulation werden Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Position des Eisstücks auf dem Blatt, Geometrie und Dichte des Eisstücks, Drehzahl und Stellung des Rotors im Moment der Ablösung des Eisstücks zufällig im Rahmen der am Standort zu erwartenden Wahrscheinlichkeitsverteilung variiert. Das Geländemodell in der Umgebung der WEA wird durch Daten aus einer Studie [S2] berücksichtigt, wobei eine eventuell vorhandene Schutzwirkung durch Bewuchs oder Gebäude vernachlässigt wird. Das Berechnungsmodell wurde im Rahmen der Entwicklung der IEA Recommendations [N2] anhand von Messkampagnen in realen Windparks validiert.


Vereisungshäufigkeiten

Die Datengrundlage für die Bewertung der Vereisungshäufigkeit stammt aus der Vereisungskarte des Deutschen Wetterdienstes [S3]. Zur Bestimmung der Häufigkeit atmosphärischer Vereisung wurden verschiedene Wetter-Meldungen in [S3] ausgewertet, darunter:

  • Allgemeine Wetterereignisse:

    • leichter, mäßiger oder starker gefrierender Regen,

    • leichter, mäßiger oder starker gefrierender Sprühregen,

    • leichter, mäßiger oder starker Schneeregen,

    • Eiskörner (gefrorene Regentropfen),

    • Nebel mit Reifansatz

  • Wetterereignisse bei Temperaturen ≤ 0° Celsius:

    • durchgehender oder unterbrochener leichter, mäßiger oder starker Sprühregen,

    • leichter, mäßiger oder starker Sprühregen mit Regen,

    • durchgehender oder unterbrochener leichter, mäßiger oder starker Regen,

    • Nebel oder Nebel mit Reifansatz

  • Wetterereignisse bei Temperaturen > 0° Celsius:

    • durchgehender oder unterbrochener leichter, mäßiger oder starker Schneefall,

    • leichter, mäßiger oder starker Schneeregen- oder Schneeschauer

  • Wetterereignisse der letzten Stunde, aber nicht zur Beobachtungszeit:

    • Schneefall,

    • Schneeregen oder Eiskörner,

    • gefrierender Regen,

    • Schneeschauer bei Temperaturen > 0° Celsius,

    • Nebel bei Temperaturen ≤ 0° Celsius.

Durch diese Kategorien werden verschiedene Wetterbedingungen erfasst, die nicht in allen Fällen zu einer signifikanten Vereisung der Windenergieanlagen (WEA) führen. Gleichzeitig beziehen sich die Meldungen auf Beobachterhöhe und nicht auf die Nabenhöhe der WEA. Daher wurden Vergleiche mit verschiedenen Klimastationen des Deutschen Wetterdienstes durchgeführt. Dabei wurden langjährige (30 Jahre) Messreihen zum Tagesmittel der relativen Luftfeuchte und der Lufttemperatur ausgewertet, um die Vereisungshäufigkeit auf Nabenhöhe zu bestimmen.

Der Vergleich zeigt, dass die in [S3] auf Beobachterhöhe ermittelten Vereisungshäufigkeiten konservativere Ergebnisse liefern. Daher ist eine Umrechnung auf die Nabenhöhe der WEA unter Berücksichtigung der in [S3] betrachteten Ereignisse nicht erforderlich.

Gemäß [S3] erfordern Standorte in großen Höhen besondere Betrachtungen, insbesondere wenn sie besonders exponiert oder geschützt sind. Entsprechende Orte wurden in [S3] daher gefiltert. Die niedrigste betroffene Höhe liegt bei ca. 700m über Normalnull (üNN), sodass das hier verwendete Verfahren im Folgenden für Orte bis zu einer Höhe von 700m üNN ohne Korrekturen angewendet wird. In diesem Höhenbereich liefert die in [S3] verwendete exponentielle Regression eine gute Annäherung an die Daten und wird daher hier verwendet. (Der Höhenzug westlich von Dorndiel liegt in etwa 340m üNN)

Berechnung der Flugbahn von größeren Eisstücken bzw. Blattbruchstücken.

Für die Berechnung der Flugbahnen der Blattbruchstücke wird die Lage des Blattbruchstücks während der gesamten Bewegung erfasst und verfolgt. Dies erfolgt basierend auf den Luftwiderstandsbeiwerten, der Geometrie und der Masse der Blattbruchstücke. Das Ziel ist es, im Vergleich zu einer rein ballistischen Flugbahn ein realistischeres Bild der Flugweiten zu erhalten, wobei auch solche Flugbahnen erfasst werden, bei denen im Einzelfall durch Auftriebskräfte am Blattbruchstück sehr hohe Flugweiten erreicht werden können. Eine beispielhafte Flugbahn ist in der Abbildung visualisiert.

Für die Berechnung werden repräsentative Daten für die Leistungsklasse der Windenergieanlage (WEA) herangezogen. Diese beinhalten Informationen zur Blattmassenverteilung, Geometrie, aerodynamischen Beiwerten (Auftrieb-, Schub- und Momentenbeiwerte an verschiedenen Blattschnitten) sowie zum Pitch- und Drehzahlverlauf. Der Bruch wird in allen Fällen als glatter, plötzlicher Abriss modelliert, der während des Bruchvorgangs keine Energie verbraucht. Im Gegensatz zu [S5], wo stets der Abriss des ganzen Blattes unterstellt wird, werden hier auch größere Blatt- oder Eisbruchstücke betrachtet, die tendenziell zu größeren Flugweiten führen und somit zu einer konservativen Betrachtungsweise beitragen.

Insgesamt wurden etwa 5,5 Millionen Flugbahnen ausgewertet. Bei der Berechnung wurden folgende Randbedingungen zugrunde gelegt:

  • Abrisspunkte:

    • ganzes Blatt (50% der Ereignisse),

    • Bruchstücke von 90%, 70%, 50% und 30% der Blattlänge (jeweils 12,5% der Ereignisse).

  • Windgeschwindigkeitsverteilung entsprechend Tabelle 3.2.1.

  • Windrichtung in 1° Grad-Schritten gewichtet mit der Häufigkeitsverteilung der Windrichtungen entsprechend Tabelle 3.2.1.

  • Rotorblattstellung zum Zeitpunkt des Abrisses: gleich verteilt in 2°-Schritten.

  • Drehzahl der WEA: Abhängig von der Windgeschwindigkeit entsprechend der Kennlinie der WEA. Überdrehzahl wird vernachlässigt, da dies als Ursache für Blattbruch als unerheblich betrachtet wird ([S5]).

  • Geländehöhe: Für das Geländemodell in der Umgebung der WEA werden Daten aus [S2] berücksichtigt.

Berechnung der Auftreffhäufigkeit nach Turmversagen

Ermüdungsschäden an Türmen sind selten. Es wird angenommen, dass das Versagen eines Turmes aufgrund von Ermüdung durch die Bauüberwachung und wiederkehrende Prüfungen weitestgehend ausgeschlossen werden kann ([S6]). Eine Gefährdung durch Turmversagen wird daher unterstellt, wenn es bei extremer Belastung (Sturm) aufgrund von Konstruktions-, Planungs- oder Wartungsfehlern zu einem Versagen des Turmes bzw. des Fundaments kommt.

Die Windrichtung, aus der die Starkwindlagen unterstellt werden müssen, ergibt sich aus den Abmessungen der Windenergieanlage (WEA) und der Lage der Schutzobjekte. Anschließend werden aus den Winddaten in Tabelle 3.2.1 die relativen Häufigkeiten für Starkwind mit einem 10-Minuten-Mittelwert von mehr als 16 m/s auf Nabenhöhe für die jeweils zu betrachtenden Windrichtungen bestimmt. In Verbindung mit der Versagenshäufigkeit aus Tabelle 2.3.1 ergeben sich die Gesamthäufigkeiten.

Anzahl sich lösender Eisstücke

Die Gesamtanzahl der Eisstücke, die am Standort zu erwarten sind, setzt sich aus der Anzahl der Eisstücke pro Vereisungsereignis und der Anzahl der Vereisungstage zusammen. Zur konservativen Abschätzung wird angenommen, dass an allen Tagen mit Vereisung eine vollständige Vereisung der Windenergieanlage (WEA) erfolgt.

Gemäß [S7] und in Übereinstimmung mit der internationalen Richtlinie für WEA [S8] kann die insgesamt zu berücksichtigende Eismasse abhängig von der Blattgeometrie im Vereisungslastfall definiert werden. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Masse der Eisstücke lässt sich daraus die Anzahl der Eisstücke pro Vereisung ableiten. Diese Anzahl ist unabhängig davon, ob ein Risiko durch Eisfall oder Eiswurf betrachtet wird, und beträgt im vorliegenden Fall 160,9 Eisstücke pro Vereisung. Somit ergeben sich bei 6,6 Vereisungsfällen insgesamt 1062 Eisstücke pro Jahr.



Quellennachweis:

Studien:

[S1] Bengt Tammelin et. al.; Wind Energy Production in Cold climates; Meteorological publica-

tions No.41, Finnish Meteorological Institute, Helsinki, Finland, February 2000.


[S2] Jarvis A., H.I. Reuter, A. Nelson, E. Guevara, 2006, Hole-filled seamless SRTM data V3, Inter-

national Centre for Tropical Agriculture (CIAT).


[S3] Wichura, B., 2013. The Spatial Distribution of Icing in Germany Estimated by the Analysis of

Weather Station Data and of Direct Measurements of Icing, Proceedings of the 15th Interna-

tional Workshop On Atmospheric Icing Of Structures (IWAIS 2013). Compusult Ltd., St.

John’s, Newfoundland and Labrador, September 8-11, 2013, pp. 303-309.


[S4] T. Hahm, J. Kröning; Rotorblattversagen – Gefährdungsanalyse für die Umgebung von

Windenergieanlagen; 6. Deutsche Windenergie-Konferenz DEWEK 2002.


[S5] C. J. Faasen, P. A. L. Franck, A. M. H. W. Taris; Handboek Risicozonering Windturbines,

Eindversie, 3e geactualiseerde versie mei 2013, en Herziene versie 3.1 september 2014;

Nederland


[S6] J. Kesenheimer; Grundlagenforschung zur Restnutzungsdauer von Windenergieanlagen;

Technische Universität Hamburg-Harburg, April 2003.


[S7] International Energy Agency (IEA), IEA Wind TCP Task 19; International Recommendations

for Ice Fall and Ice Throw Risk Assessments; October 2018.


[S8] International Electrotechnical Commission (IEC); IEC 61400-1 Ed. 4, Wind turbines - Part 1:

Design requirements; 88/521/CD Committee Draft, 22. Oktober 2015.


Normen:

[N1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), Muster-Liste der Technischen Baubestimmungen -

Fassung Juni 2015 bzw. Veröffentlichung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische

Baubestimmungen, Ausgabe 2017/1.


[N2] International Energy Agency (IEA), IEA Wind TCP Task 19; International Recommendations

for Ice Fall and Ice Throw Risk Assessments; October 2018.



Bilder:

[B1] Abbildung 2.6.1: Beispielhafte Flugbahn eines Blattbruchstückes [S4]